Sidi Ifni Inc. – „Prolog“ / „Ely Marrony“

Artikel aus der New York Times, Juni 2011

Die Sonne einzufangen ist keine europäische Erfindung. Aber Europa mit Strom aus der Wüste Nordafrikas und dem mittleren Osten zu versorgen ist schon eine wichtige (Er)findung. Das Project Desertec zu nennen ist nur konsequent zu Ende gedacht. Sollte alles nach Plan gehen, dann wird Europa ab 2030 seinen Stromhunger zu 15% aus der eingefangenen Sonne seiner südlichen Nachbarn zu decken wissen. Über 30 renommierte Wissenschaftler haben seit den 1980iger Jahren an diesem ambitionierten Plan gearbeitet. Ihre Idee ist auf den ersten Blick sehr einfach: die Wüsten der Erde bieten eine schier unerschöpfliche Quelle für Energie, und sie (die Sonne) schickt keine Rechnung! Einfangen, umwandeln und über Stromleitungen nach Europa schicken. Klingt einfach! Könnte einfach sein, sollte doch einfach sein!

Bleiben wir bei den ambitionierten 15% Versorgungssicherheit (für Europa) für einen Moment. Nach einer Studie der Weltbank würden – über 2020 hinaus – alle Desertec-Komponenten aus Europa nach Nord-Afrika importiert werden. Zusammenbau, Aufstellung als auch Betrieb der Anlagen würde bis zu 100 000 Arbeitsplätze erzeugen. Desertec sorgt für lokalen Aufschwung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und Infrastruktur. Ab spätestens 2030 würden alle wichtigen Komponente vor Ort produziert werden. So der Plan.

Und so auch in Marokko, dem wohl stabilsten Königreich in Nord-Afrika. Mohammed VI ist seit 1999 bestrebt sich dem europäischen Markt zu öffen. Erfolgreich wie es scheint. Ab 2013 wird in Quarzarzate, im Süden Marokkos, ein 500 MW Solar-Testanlage im Zusammenhang mit Desertec finanziert und gebaut.

Sollte die Anlage zufriedenstellend laufen und Strom aus der Sonne produzieren, wird ein weitreichendes Netz an Solaranlagen in Marokko ab 2020 installiert. Europäische Kunden bekommen weiterhein ihren Strom aus der Steckdose und die Rechnung vom Anbieter. Vielleicht aber erscheint auch das Logo einer Wüste mit lächelnder Sonne in zukünftigen Rechnungen, und Kunden werden daran erinnert, dass ein Teil ihrer täglichen Stromversorgung aus eben diesen menschenleeren Regionen nach Europa kommt.

Nochmal. Was ist Desertec? Nichts weniger als eine Vision: Strom wird in strukturschwachen aber sonnen reichen Regionen produziert und nach Europa transportiert, wo Energie jederzeit benötigt wird, Kohle und Kernkraft aber nicht mehr zeitgenössisch sind, um den Energiebedarf zu decken. Dazu kommt erschwerend, dass viele Europäer beiden Energieträger als Dinosaurier-Technologie abtun – und wir alle wissen, wie es mit den Dinos ausging. Und darauf aufbauend will niemand. Also doch Stromprojekt für Europa? Ja, aber es sollte immer davon ausgegangen werden, dass alle beteiligten Länder in Nordafrika davon profitieren können. Von Projekt zu Projekt wird die lokale Wertschöpfung gesteigert und somit neue Arbeitsplätze und weniger Abhängigkeiten geschaffen.

Und was bedeutet Desertec für Investoren und Anleger? Gemäß der Weltbank sind geschätzte 566 Milliarden USD (400 Milliarden EUR) für das 40-jährige Vorhaben vorgesehen. Der Unterschied zu traditionellen Großinvestitionen ist dabei, dass Desertec nicht heute anfängt und in 40 Jahren aufhört. Es geht vielmehr darum, eine nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen.

Sidi Ifni Inc. – Kapitel 1 „Ely Marrony“

Für Amerikaner scheint Europa weit weg, Marokko aber um so mehr, dabei liegt es vor der südlichen Haustür Europas, nur durch das Mittelmeer getrennt. Ely bemerkete, dass ihre Lippen immer noch an der angesetzten Kaffeetasse hingen, sie aber nichts getrunken hatte. Der Artikel faszinierte sie. Wüstenstrom nach Europa, Marokko, König Mohammed VI, der Name Desertec – Worte wie geschaffen, um sich ein großes Scheitern vorzustellen, aber, eben auch, eine große Chance, etwas neues. Und wer weiß, dachte sie sich, 40 Jahre sind eine lange Zeit, zu lange, um Chancen scheitern zu lassen. Sie nahm einen großen Schluck schwarzen Kaffees, verdammt schon kalt, dachte sie sich, und stelle die Tasse neben den  Rechner. Ein schwarzer Rest blieb am Boden der Tasse zurück und hatte etwas öliges. So wie im richtigen Leben, sagte sie laut und musste lachen. Wir leben von den Resten des einstigen Ölzeitalters, Öl als Schmiermittel des amerikanischen Traum. Grenzenlos, ja, es war egal, wo das Öl herkam. Grenzenlos, für einige ging es stetig nach oben. Grenzenlos auch der damit angehäufte Reichtum. Grenzenlos, unsere Armee nimmt Grenzen nicht mehr so wichtig. Interessen mussten verteidigt werden, Reichtum musste vermehrt werden, Wachstum musste grenzenlos erscheinen. Der amerikanische Traum.  Für einen Moment pendelten ihre Augen zwischen der wohlformulierten Sonnenvision, schwarz-auf-weiss stand es vor ihr, und dem öligen Rest in der Tasse. Abhängig waren wir alle, dachte sie sich, egal ob Kaffee, Öl oder der Hang zu Visionen.

Ihr Fon vibrierte, ihre Mutter rief an.

„Hallo Betty“ sagte sie.

„Hier ist deine Mutter Ely!“ kam die forsche Richtigstellung zurück.

„Was gibt es Mutter“, Ely wolle schnell zurück zum amerikanischen Traum, wo Praxisnähe von Gleichungen und den damit verbundenen Lösungen alle Problme zu lösen schienen; und diese Sache mit Desertec ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Aber jetzt ihre Mutter am Fon…

„Ely, darling, was machst du heute abend? Schon Pläne?“ Ihre Mutter ließ keine Zweifel aufkommen, dass sie nach Elys zweiter Scheidung als allwissende Dating-Maschine ihre Rolle gefunden hatte. Sie kannte jeden in Portland. Und jeder, fast jeder, kannte sie, seitdem dem Vorfall von 1971 – aber das ist ja auch mittlerweile über 40 Jahre her. Sie wollte sich nicht damit abfinden, dass Ely genug hatte von Männern: zwei kaputte Ehen und immer noch keine Kinder. Da ging doch noch was, dachte sie sich. Und gleich im Anschluss „Es gibt eine Ausstellung über das Folk der Fulas, Jean-Luc hat neue Bilder aus Marokko mitgebracht und stellt sie jetzt aus. Heute abend gegen 6? Wie sieht es aus Schatz?“

Welche Wahl habe ich, dachte sich Ely. Ein Nein würde unweigerlich zu weiteren, immer den gleichen, Fragen führen – nach dem warum und wieso, und vor allem, wieso denn nicht! „Wo stellt er denn aus?“ fragte sie schließlich.

„Im Van Reybrouck. Ist wohl etwas größeres. Jean-Luc hat keine Mühen gescheut. Du kennst ihn ja. Und er war 3 Monate in Marokko unterwegs um an die Bilder zu kommen.“

„Marokko? Aber die Fulas kommen doch aus Mali?“

„Er hat dort diesen Maler kennengelernt in dieser Oase, wie hieß der Ort nochmal?…auch nicht so wichtig. Jedenfalls, dieser Belgier hat bei den Fulas gelebt und über sie gemalt. Das könnte dich interessieren.“

Wohl eher die anwesenden Männer, dachte sich Ely. Aber ihre Mutter hatte Recht. Es klang spannend, zumal Marokko…

„Kann ich dich zurückrufen, Mutter? Und ja, ich ich werde heute abend dort sein, versprochen. Ok?“ Elys Aufmerksamkeit war wieder ganz auf den Artikel gelenkt und das einseitig dominierte Kurzpassspiel mit ihrer Mutter konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Aber das sie Marokko erwähnte!  „Good timing, Ma.“, dachte sie sich.

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