Marokko – Klaviatur der alten Melodien

Es sollte kein normaler Familienausflug werden. Mein Bruder Tomase und ich wollten alten Chic in neuen Schläuchen erleben und erkundeten Südmarokko vom 6.02. bis 20.02.2010 – natürlich on the road.

Oslo-Marrakesch
Endlich mal wieder auf Tour und gleich zu Beginn 2010 – das kann nur gut werden. Entspanntes reisen fängt bei mir gegen Mittag an, zum Flughafen nach Oslo fahren, einchecken, Kaffee trinken und Zeitung lesen, danach in den Flieger steigen und los. Nach 4 ½ h erwartete mich ein Blick auf den sonnigen Flughafen, während ein lachender Pilot in der Kanzel erklärt, es herrsche – mal wieder – ein wenig Chaos bei den Fluglotsen im Tower zu Marrakesch, und ein paar Extrarunden stehen an, bevor zur Landung angesetzt werden kann. Warme 25°C erwarten mich und der Gang vom Flieger zur Abfertigungshalle lässt vergessen, dass in Oslo Winter ist und sich der Schnee meterhoch türmt.

Die Einreise nach Marokko basiert – ähnlich wie in Russland und Mexiko – auf dem Prinzip des Ausfüllens eines Formulars, entgegengenommen von einem Beamten in einem Glaskasten; ein anderer schaut dabei zu und sagt irgendwas, das schwere Durchrasten eines Stempelapparates ist zu hören und – wenn alles gut geht – man darf einreisen. Wenig später warten zwei weitere Beamte, um den Stempel zu prüfen. Das ist fast tragikomisch, auch deshalb, weil es nicht anders zu funktionieren scheint. Immer ist einer zu viel, einer der rumsteht, oder manchmal auch zwei.

Nachdem auch diese Hürde genommen war, kam der Ausgang nahe, aber eine weitere Gepäckdurchleutung ließ mich zweifeln. Eine Familie mit Kinderwagen, dessen schiere Größe der Maschine Probleme bereitete, ließ die nächste Schlange entstehen. Einige Norger fingen an, der Mensch-Maschine auszuweichen, indem sie einfach daran vorbeigingen. Anfängliche Rufe der Beamten wurden nachgekommen, man kam zurück, andere wiederum machten sich auf den Weg. Es konnte nicht gutgehen, und alle wurden schließlich durch gewunken. Endlich war ich draußen, Tomase wartete schon, das Auto war bereits abgeholt, und die Tour konnte losgehen – auf nach Marrakesch, dem magischen Theater der vielen Logen.

Reisender, wann kommst du nach Imlil?
Imlil ist ein Ort, wo Panoramafototapete erfunden wurde. An einem breiten, aber ausgetrockneten Flußbett, hängt eine Siedlung faktisch am Fuße des Berges. Graues Gestein geht über in Ockerfarben und fließt dunkler werdend über die Häuserfronten, sich wieder aufhellend, in den Sand.

Marokko 2010_Djebel Toubkal - Abstieg

Vom Hotel Riad-Imlil, unserem Eckhotel mit angrenzender Wildwasserautobahn machten wir uns morgens auf den Weg mit leichtem Gepäck, um Marokkos höchstem Berg, dem Djebel Toubkal (4167m), ein wenig näher zu kommen.

Reisende, kommt einen Tee trinken! Diese Aufforderung hörten wir oft auf dem Weg in die Berge. In der ersten Hütte trafen wir auf Hassan, dem Cousin von Rashid, dem Besitzer vom Eckhotel. Wenig später trafen wir in der zweiten Hütte auf den Edelschwätzer; ununterbrochen wurde auf uns eingeredet – wir sollten doch schwere Teppiche, oder Holzwaren kaufen.

Teile der Außenwand – mit Fenster – eines Kleinflugzeuges zeugten vom makabren Charme in der vierten Hütte. Vor Jahren war um den Djebel Toubkal ein Flieger der marokkanischen Fluglinie abgestürzt – niemand soll den Sturz ins Gebirge überlebt haben. Nach 3 h Aufstieg erreichten wir die fünfte und auch letzte Hütte, bevor wir umkehrten. Der Betreiber dieser Einöd, ein junger Berber mit fescher Sonnenbrille, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und hatte schon Stunden zuvor den Gran Chillout eingeleitet. Er hatte die Berge, die Getränke wurden ständig durch Bergquellwasser gekühlt und ab und zu kamen ein paar Touris vorbei.

Schatz im Silbersee

Wieder on the road, vom Hohen Atlas in das Anti-Atlas Gebirge, mit dem Ziel Tarafaoute. Wir passierten wunderschöne Täler mit blühenden Mandelbäumen, weit ausladenden Arganbäumen, früchtetragenden Feigenkakteen, aus Lehm gestampften Kasbah-Ruinen, Bergformationen, die Ähnlichkeit hatten mit den Gewürzkuppen auf den Märkten und silbrig schimmernden eingebetteten Seen, welche Kindheitserinnerungen an Karl May Verfilmungen weckten.

Der Apachenhäuptling und der Gringo Old Shatterhand mussten jeden Moment im Wohnwagen vorbeifahren. Taten sie aber nicht, den die rollenden Festungen wurden von Franzosen gesteuert – Marokko gilt als Karawanen-Mekka für Wohnmobile. Am Test-Pass machten wir halt um die Aussicht zu genießen, ich bestellte einen Tee und Gebäck und ließ mich – klassisch – „abziehen“; 50 Dirham wollte er haben, da die Kekse von seiner Mutter gebacken wurden und den ganzen Weg bis zum Pass transportiert werden. Das machte natürlich Eindruck auf mich, die anschließende Rechtfertigung gegenüber Tomase weniger. Aber wie heißt es doch so schön: Lesson learned und die Kekse kamen nicht von Mutti, sondern waren einfache Ladenhüter, die weg mussten. Zukünftig wurden von uns alle monetären Anschaffungen im Gegenwert vom Test-Pass Tee berechnet: Eine Tajine, Salat und Cola kosteten demnach 2 Test-Pass Tees.

Sidi Ifni lädt zum Kaffee
Sidi Ifni, in Südmarokko am Atlantik gelegen, ist in vielerlei Hinsicht überraschend. Die Spanier übernahmen 1880 den Ort, welcher erst 1934 an Marokko zurückgegeben wurde. Die Stadt fällt auf – sowohl durch den stetigen Zerfall seiner Bausubstanz als auch durch die schiere Freundlichkeit seiner dreisprachigen Bewohner: marokkanisches Arabisch, französisch und spanisch werden fließend gesprochen. Sidi, der „Herr“ im Arabischen, zwingt den Reisenden seinen Rhythmus auf. Nach dem Kaffee ist vor dem Kaffee, denn Kaffee schmeckt zwar wie Kaffee, scheint aber keiner zu sein, da die eigentliche Wirkung des Coffeins auszubleiben scheint. So werden leere Gläser stetig durch neue – volle – ersetzt und nach dem Kaffee wird zu vor dem Kaffee.

Herr Ifni, der Marokkaner
Marokkaner lieben das klönen mehr als alles andere und ist damit – neben Fußball (FC Barcelona) – Tagesgeschäft. Wer klönt, der kennt sich aus und weiß Bescheid. Es wird sich über andere das Maul – sprichwörtlich – zerrissen. Besonders offensichtlich wird es, wenn das rhetorische Gestapfe über andere soweit geht, dass es den Marokkanern unmöglich erscheint gewisse Lokalitäten oder Bars zu betreten, weil sie Tage, Wochen oder sogar Monate vorher alles hochgeholt haben, was Schlamm und Schlick an (Un)wichtigkeiten so hergeben. Ob sie dadurch ein schlechtes Gewissen haben und deshalb nicht eintreten wollen? Einen gewissen Schuss ins Hirn der Marokkaner lässt das schon erkennen.

Herr Ifni und das surfen
Surfen in Sidi Ifni – für Anfänger, Fortgeschrittene als auch Profis – ist ein Hochgenuss. Surfspots gibt es ausreichend entlang der Küste Richtung Süden. Die Hausbucht unterhalb vom Suerte Loca wechselt ihr Gesicht (die Intensität und Größe der Wellen) in Abhängigkeit von Ebbe und Flut. Am Hafen geht es wesentlich entspannter zu: kleinere Wellen und ein wunderschöner Sandstrand. Aus dem Wasser ragen die alten Ruinen der Containerhafenanlage und für einen kurzen Moment kommt das Gefühl hoch, man ist auf dem Planeten der Affen gestrandet – zwei Surfonauten auf fremden Boden.

Marokko 2010_Sidi Ifni - Puerto (Tomase & Sebas)

Ist surfen Sport, oder einfach nur das Folgen der Berufsprediger aus der Lifestyle Branche, die zum werbewirksamen Ritt auf den Wellen aufrufen, um einen weiteren Trend zu vermarkten? Es ist sicherlich beides und vielleicht sogar gefährlich. Surfen ist Sport, anspruchsvoll, mit voller Hingabe seinen Körper den Wellen ausliefern, da man tief fallen kann, wenn man fällt. Surfen macht abhängig. Sicherlich, je besser man wird, desto mehr Wellen gibt es zu reiten, und es kommen stetig neue dazu. Surfen macht glücklich. Die Sonne geht unter, die Welle trägt das Brett bis zum Strand, man steigt herunter und ist zufrieden – ein Gefühl von Glück stellt sich für den Moment ein, das noch lange danach anhält.

Marokko 2010_Sidi Ifni - Puerto (Tomase)

Herr Ifni und das Wetter
Ebenfalls überraschend in Sidi Ifni ist das Wetter, welches – normalerweise – geprägt ist durch zwei wiederkehrende Jahreszeit: den heißen trockenen Sommermonaten folgen kühlere Monate dazwischen mit leichtem Regenfall. Der Februar ist als Wechselmonat bekannt, aber die letzten Tage waren anders als Herr Ifni sich sonst präsentiert. Sturmwolken zogen vom Atlantik heran, der Himmel öffnete seine Schleusen und das Inferno ging über uns nieder: bereits lädierte Straßen wurden zu reißenden Bächen, Treppenpromenaden wurden zu Wasserfällen und das Meer wurde zum riesigen Caffe Latte Rührwerk; Flüsse transportieren mitgerissenen Schlamm aus den Bergen und mündeten unweit unseres Hotels ins Meer. Für Kaffeeliebhaber wurde die ausladende Mündung zum farben-theoretischen Gourmetereignis, und konnte, von unserer Terrasse aus, mit einer weiteren Tasse Kaffee, verfolgt werden.

Für uns Surfnomaden hat das bizarre Schauspiel aber katastrophale Folgen, da surfen unmöglich wird, und ein Tag ohne surfen (für Leute die es wirklich lernen wollen) wie ein Tag ist ohne Internet (für Leute, die „es“ wirklich wissen wollen).

Herr Ifni und die großen Träume
Ein guter Road Trip hat immer etwas mit großen Namen, zu tun. Die Eintrittskarte zum Tempel der Coolness geht heute an den Laden von Hisham, der Bob – welcher gepostert lachend über seiner Tür hängt – über jegliche anderen großen Prediger stellt. Doch auch Bob ist nicht stärker als das Meer: es ist einfach sehr groß – akhbar. Sein Surftempel hatte erst vor 7 Monaten aufgemacht und dreisprachig führte er mich herum und mir wurde sofort klar, dass ich die Eintrittskarte einlösen musste. Das Geheimnis von Tourismus liegt wahrscheinlich darin, dass man Tourismus nicht merkt, er geht an einem vorbei und das Gefühl für Qualität kommt zurück. Ich dachte an Berberschönheiten beim Betrachten der Ketten und an kaffeetrinkenden Saadis auf ledernden Sitzkissen.

Die letzten Jahrzehnte Tourismus sollen angeblich mehr zerstört haben als 300 Jahr Kolonialismus – so sagt man -, aber guter Tourismus ist bezahlen und wissen das Geld ist gut angelegt, weil das Konzept stimmt. Hishams Konzept ist so einfach wie nur möglich: Geld machen, um eine Surfschule aufzumachen, aber nicht in Sidi Ifni, da sei zu viel Konkurrenz. In Casablanca oder Agadir wäre besser. Auch im Tempel der Coolness braucht man zum Reisen Eintrittskarten, um sich Träume zu verwirklichen. Dass Hishams Träume auf Expertise bauen, kann ich nur bestätigen. Als Surflehrer kennt er das Meer, wie kein anderer: es ist einfach sehr sehr groß – akhbar.

Marokko 2010_Sidi Ifni - Puerto (Hisham)

Herr Ifni und der Halbmond (Media Luna)
Media Luna aus Sidi Ifni spielen Musik für die Zukunft, der Zukunft Sidi Ifnis. Die halbstarken Renegaten beherrschen ihre Instrumente zweifellos, der Bassspieler griff noch schnell in den halboffenen Verstärker und nach wenigen Minuten wird aus Rauschen Klang – Bass satt. Der Sänger der Gruppe war auf seinem roten Ohrensessel ganz nach vorne gerutscht, das Basecap in die Stirn gezogen, Tee aufgießend und auf seinen Einsatz wartend. Der Gitarrist ließ von seinen Aufwärmübungen ab und begann einen spanisch intonierten Rhythmus zu spielen. Der Bass setzte ein und eine ungewöhnliche – funky klingende – Melodie spielte der Gitarre zu. Unter dem Banner des Halbmondes stehend, erhob der Sänger seine Stimme und der marokkanische Klangteppich hob ab mit dem Ziel Zukunft – und die Jungs von Media Luna haben eine goldene Zukunft vor sich.


Sidi Ifni aus der Sicht von Tomase
Hussein
Hussein sieht aus wie 80 Jahre alt und eigentlich könnte er sich im Haus seiner Familie, die ihn verpflegt, entspannt auf den Sitzkissen zurücklehnen. Die Familie übernimmt in den meisten Teilen der Welt was bei uns die Rente ist, eine solche gibt es nicht in Marokko. Hussein möchte trotzdem arbeiten – und zwar in der Tourismusbranche. Weil es kaum Jobs in Ifni gibt, und für Senioren ohne große Fremdsprachenkenntnisse im Tourismus schon ganz und gar nicht, hat er sich selbst eine Arbeit geschaffen. Er setzt sich nachts auf einen Stuhl vor das Hotel und bewacht die Autos (die hier sicherlich nicht bewacht werden müssen). Er hat einen Zettel, auf dem steht, dass er für seinen Service 60 Dirham (6 Euro) in der Woche bekommt. Jeden Abend wenn man nach Hause kommt, gibt man ihm ein bisschen was. Nicht ohne eine kleine Konversation mit Hussein anzufangen. Er spricht kaum Französisch oder Spanisch, aber er hat Humor und man kann wunderbar das am selben Tage erlernte Arabisch mit ihm austauschen. Immer freut er sich, bietet die Hand zum „High Five“ und anderen Moves; kontrolliert, ob man noch alle Zahlen drauf hat. Die Jungs, die sonst so an der Ecke rumstehen übersetzen bei Bedarf, denn natürlich muss man mit Hussein auch ein bisschen verhandeln, das gehört dazu, dann gibt’s auch von Hussein Anerkennung.

Wechselgeld
In Ifni ist es eine größere Schwierigkeit, 200-Dirham Noten (20 Euro) loszuwerden. Die Verkäufer gucken einen dann fragend und etwas vorwurfsvoll an, manchmal rennen sie los um den Schein in einem anderen Laden zu wechseln; ein anderes Mal haben sie keine Zeit dazu weil andere Kunden warten oder es gibt keinen Laden um die Ecke, der das wechseln würde. Dann sagt man einfach, man kommt später oder am nächsten Tag vorbei um seine Schuld zu begleichen. Der Verkäufer sagt „gut“ und man geht, erst mal ohne zu bezahlen. Der Rest ist Ehrensache, und das funktioniert erstaunlich gut. So lebt es sich sehr angenehm!

Fliegen
Marokkanische Fliegen verhalten sich anders als ihre europäischen Verwandten. Unsere Fliegen sind scheu, sie fliegen viel und sitzen selten rum. Genau das Gegenteil bei den Fliegen hier: Guckt man einen Film, kann es eine Fliege gut und gerne schaffen, den ganzen Film über an derselben Stelle auf dem Bildschirm zu verharren. Die Fliegen setzen sich auch gerne irgendwo bei jemandem ins Gesicht und lassen sich kaum verscheuchen, sie setzen sich immer wieder an dieselbe Stelle. Nur wenn man die Hand zum Fliegenfang oder gar Fliegenmord krümmt … dann sind sie blitzeschnell.

Dauerregen
Eigentlich regnet es in der Wüste nicht – sollte man vermuten. Es regnet aber seit 5 Tagen fast ununterbrochen. Weder Häuser noch Straßen sind darauf eingestellt. Das Wasser reißt tiefe Gräben in die Straßen in der Stadt, Brücken werden überflutet, die Landstraßen wegen heruntergespülten Steinen und Erde an manchen Stellen kaum passierbar. Die Treppe zum Strand hat sich in einen Wasserfall mit Kaskadenfunktion verwandelt. Bei den Häusern ist das Problem, dass sie oben offen sind und die Putzkolonne die halbe Zeit mit Wischen beschäftigt ist. Gestern kamen daumennagelgroße Hagelkörner herunter – das erste Mal in 13 Jahren, dass es hier hagelt.

Sprachen
Allgemein gesehen stehen die Deutschen in Sachen Fremdsprachen gar nicht schlecht da. Sicher, Skandinavier und Holländer sind gerade mit Englisch immer noch besser – dagegen stehen die eher sprachfaulen Spanier und Italiener. In Sidi Ifni sollten sie alle vor Scham erröten! Was die Marokkanier mit eher wenigen Schuljahren zustande bringen, fordert uns größten Respekt ab. Ich übertreibe nicht: Einige Leute hier sprechen besseres Deutsch als so manche, die seit 20 Jahren in Deutschland leben. Fragt man, wo sie das gelernt haben, hört man „zu Hause mit dem Buch“, „als ich mal in Agadir gearbeitet habe“, „mit einem Sprachlehrer“. Also kein Sprachaufenthalt, keine vier Schuljahre. Und das ist nur Deutsch. Fast alle sprechen französisch und spanisch – viele fließend; dazu kommt Englisch. Wenn man sich klarmacht, dass jeder Marokkaner von sich aus lernen muss:

Die Sprache seines Elternhauses / Dorfes. Einer der drei Berbersprachen.

Den marokkanischen Dialekt des Arabischen, die Umgangs- und offizielle Landesprache

Standard-Arabisch, die Sprache des geschriebenen Wortes (und damit der Zeitungen, Filmuntertitelungen, …),

welche außerdem die Sprache ist, in der sich alle Araber untereinander verständigen können. Nun versteht man, dass Sprachen einen großen Teil des Lernens hier ausmachen. Die Marokkaner nutzen dieses Vermögen gern, um sich mit Fremden auszutauschen. Vielleicht wirken sie deshalb so tolerant, offen und freundlich und manchmal sogar richtig weise.

Hassan
In Marokko heißen die meisten Leute Hassan oder Mohammed. Um sie unterscheiden zu können, bekommen die Hassans Beinamen: Hassan el Aleman (weil er deutsch spricht), Hassan el Espaniol (er mag Spanien), Hassan Thalassa (er hat 2001 die französische Sendung „Thalassa“ nach Ifni geholt). Letzterer ist wahlweise auch „Hassan der in Europa gelebt hat“.

Polizei
Neulich haben wir unsere Surfbretter aufs Autodach geschnallt, eine ziemlich notdürftige Konstruktion mit zwei Gummiriemen. Am Ortsausgang lauerte die Polizei und winkte uns prompt heraus. Für die im Falle eines Unfalls gemeingefährlichen Surfbretter hatten sie kein Wort übrig, auch nicht für die Tatsache, dass im Auto niemand angeschnallt war. Stattdessen schauen sie sich genauestens die aus fünf einzelnen Blättern bestehenden Papiere des Mietautos an, könnte ja was fehlen und man könnte Geld vom Touristen verlangen. Einen Führerschein hatte ich nicht dabei, nach ein bisschen Diskussion ließen sie uns dann weiterfahren.

Meistens steht die Polizei aber an einer Kreuzung mit Stoppschild und winkt großzügig die Autos durch. Wer nicht richtig stoppt, wird heraus gewunken. Nach dem Motto „Hauptsache der Schein stimmt“ hält die ganze Stadt natürlich nur am Stoppschild, wenn die Polizei da ist, wenn nicht, fädelt sich der Verkehr schon irgendwie ein.
Die Lieblingsbeschäftigung der Jungs von der Polizei ist aber, auf der Wache herumzuhängen. Dem Einen war das neulich zu langweilig, weshalb er dem Gärtner die Säge wegnahm und sich selbst, in Uniform wohlgemerkt, ans Absägen der abgestorbenen Palmblätter machte – ein richtiger marokkanischer Palmenpolizist eben.


Es geht weiter…(Texte von Sebas)

Marrakesch

Wir sind seit gestern, 19.02.2010, wieder im magischen Theater der vielen Logen: der Stadt der Gaukler, falscher Propheten, Wahrsager, Schlagenbeschwörer, nie-müde-werdender Händler und Marktschreier, Barbiere – Stadt des Überflusses und gegensätzlicher fürchterlicher Armut zugleich. Wir ziehen durch die Medina, dem inneren Stadtkern von Marrakesch; scheinbar endlos die immer wiederkehrende Auswahl an Gleichem. Immer gleich auch der Kollektivsingular der Händler: „Komm, gut Preis, bien prix, bien precio, good price…“. Schaust Du einem Händler auf der Straße in die Augen, bist Du schon fast verloren. Es geht sehr sehr schnell. Du bist selbst unsicher, ob Du „es“ brauchst, den Schmuck, den Teppich, die Babouches, die Holzware, den Teekessel, die Masken, Tücher, Lampen, Kräuter – all die sekundären Wichtigkeiten für die Casa daheim. Dann tritt man doch hinein in den kleinen Laden und nennt einen Preis. Der Händler lacht und sagt „500 Dirham, weil es Silber ist mit Onyx-Steinen besetzt, las lagrimas negras…“ Stimmt wohl, die Steine sind in echtes Silber eingepaßt und sehr schön herausgearbeitet, aber 50 Euro! „Monsieur“, so erwiedere ich, „150 Dirham für das Teil.“ Eine gewisse Unsicherheit liegt in meiner Stimme. „450 Dirham“, was für eine Unverschämtheit, aber das Händlerdenken in Marrakesch ist auf das Feilschen aus und nach einiger Zeit einigen wir uns 240 Dirham. Noch schnell die Ohrringe im selben Stil – natürlich zum halben Preis -, und ein Hochgefühl stellt sich bei mir ein.

Marokko – Klaviatur für neue Melodien
Viele Töne wurden im Laufe der Jahrhunderte im Gebiet des heutigen Marokko (an)gespielt: Berber, Araber, dann wieder Berber, Portugiesen, wieder Araber und Berber, Spanier und Franzosen, zwischenzeitlich auch die Deutschen (Panthersprung nach Agadir 1911), dann wieder Berber und Araber – ein gewaltsames kommen und gehen, eine Klaviatur gespielt zu Gewalt, Reichtum, Macht, schöner Künste und natürlich Glauben. Heute ist Marokko auf dem Weg – nach unseren Vorstellungen – ein modernes Land, unter dem Glaubenbekenntnis zum Islam und seiner Rechtssprechung, zu werden. In 2012 wird Marokko der EU-Freihandelszone beitreten; ein wichtiger Schritt sich der europäischen Union zu öffnen. Marokko wird neue Töne auf seiner existierenden Klaviatur spielen – aufbauend auf alten Melodien.

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