Wenn die Fantasie losspaziert ins Abenteuerland oder sonst wohin, dann ist es durchaus möglich, stehend einem fast 3-stündigen Opernspektaktel aus den hintersten Reihen beizuwohnen. Wie ist es sonst zu erklären, dass sich zwei Handvoll Menschen zum gemeinsamen stand-up-low-budget-happening treffen; normalerweise gleichen Opernbesuche eher einem kontrollierten Tumult aus teuren Karten, feinstem Tuch auf gutsituierten Körpern, Pausenweinen und Networking. Man trifft sich, sieht sich, sucht die bezahlten Plätze auf, setzt ein feines Lächeln in den Pausen auf, differenziert sich hie und da über Einzelleistungen der Schauspieler auf der Bühne, aber legt am Ende doch immer wieder gemeinsame salbige Worte auf: „Eine Vorstellung wie eine Brandungswelle: vorherrschend, kraftvoll, rhythmisch ausbalanciert…“. Stehend dem Stück auf der Bühne zu folgen ist trotzdem anstrengend und führt mitunter zu verschiedenen Taktiken: zum einen kann man die Schärfe und die Farbe herausdrehen und sich nur auf die Musik konzentrieren, weil man Dehnungsübungen ausführt und dabei die Augen schließt; zum anderen dreht man mehr Schärfe rein und versucht Einzelpersonen zu fokussieren. Die Darstellerin der Carmen hatte wunderschöne weiße Zähne, die elfenbeingleich schimmerten. Ein anderes Zigeunermädchen erinnerte mich wiederum an die nette „Türsteherin“, welche uns immer nett auf mögliche freie Plätze bei vorherigen Vorstellung hingewiesen hatte. Wenn die Fantasie losspaziert…