05.12.2008 – Oslo-Moskau
Wieder auf Tour, was gibt es Neues im Osten?
06.12.2008 – Kunstgaragen und Titty Twister
Aufgewacht in Moskau und ein gutes Gefühl; das wird ein guter Tag. Ich hatte vor Monaten gelesen, dass Roman Abramowitsch als Kunstmäze in Moskau in Erscheinung getreten ist. Auf 8500 m2 ließ er seiner jetzigen Freundin Kunst einkaufen und ausstellen – zeitgenössisch, aber mit internationalem Touch. Genau das richtige für Horst und mich. Doch schon das Auffinden der Adresse im Netz gestaltete sich als äußerst schwierig, aber wir fanden sie. Die Ausstellung sollte in einer alten Busgarage unterbracht sein, direkt am russisch-israelischen Zentrum für Medizin (noch Fragen an dieser Stelle?) Da war sie auch, nur erklärten uns zwei übernächtigte Männer in Uniformen, dass seit Oktober 2008 die Garage kunstfrei sei; Abrami ist wohl das Geld ausgegangen oder Stress mit der Freundin? Etwas verwundert zogen wir weiter. Im Voksal fanden wir Zuflucht, ein Restaurant als Zugstation oder Zugstation als Restaurant. Das Personal hatte ebenfalls Schaffneruniformen an. Russische Küche kann sehr deftig und bodenständig sein, genau das richtige wenn es draußen ungemütlich ist. Wie in allen Restaurants und öffentlichen geschlossenen Stätten Moskaus sind die Raumtemperaturen kaum zu ertragen, immer 5 Grad über dem angenehmen. Schon beim Eintreten ins Voksal muss man durch einen Raum, der förmlich vor Hitze brüllt, ein sehr lautes Brüllen. Der Raum war leer, keine Heizelemente an den Wänden oder Decken, nur ein kleiner Geldautomat in der Ecke. War das nur ein Geldautomat oder strahlt da noch was anderes?
Unser eigentliches Ziel war das Bolschoitheater, wo eine Ballettaufführung stattfinden sollte, Horst hatte Karten besorgt für eine gekürzte Fassung von Carmen in freier und sehr wilder Inszenierung, sowie ein kleines Stück zur Musik von Chopin. Das kleine Bolschoi wurde 2004 fertig gestellt aber das Design wurde auf die letzte Jahrhundertwende ausgelegt. Prachtvoll aber nicht kitschig, edel aber nicht pompös, klassisch aber nicht überladen, was für ein Laden. Beide Inszenierungen waren ein Fest für die Sinne; Kunst können die Russen wirklich. Nur in den Pause, im untersten Stockwerk, wo die Toiletten waren, spielten sich Szenen ab, die Tränen erzeugten: ein paffender Kunstmob, der eine schwere Wand aus Tabakrauch produzierte und einem die Sicht auf die wartenden russischen Schönheiten vor dem Damenklo nahm.
Mit leichtem Herzen verließen wir diese großartigen Aufführungen und zogen weiter in den Club Che Guevara, wo Horsts Kollegen schon am Feiern waren. Das Che ist für mich der Inbegriff des russischen Titty Twister: die Bar unter den Bars. Ein Laden, der mit dem revolutionären Charme von Che, Fidel und Cienfuegos aufwartet und ein Stück Lateinamerika nach Moskau bringt. Selbst der Sänger der Liveband erinnerte mich stark an den Frontmann von Tito & Tarrantula, welcher im originalen (mexikanischen) Titty Twister die Massen einheizte. Es war voll, wunderschöne Mädchen tanzten stundenlang auf dem Tresen, Mojitos, die eher an einen verunglückten Kräutergarten erinnerten. Was soll der große Haufen Minze in meinem Glas? Wo war eigentlich Che? Er kam natürlich nicht, dafür stieg der Anteil der devuschkas von Stunde zu Stunde – eine schöner wie die andere. Ich fiel gegen 5 Uhr morgens aus der Bar und war glücklich. Auf dem Rückweg überlegte ich mir, dass Horst und ich für einige Stunden gefährliche Salsamoves auf der Tanzfläche hingelegt haben – was für eine Familie!
7.12.2008 – Krach im Untergrund
Entspannt fing der Sonntag an. Gegen Abend stand das Musical „Die Schöne und das Biest“ im Mologeschi auf dem Programm. Das Stück hatte Längen, ich verstand nicht viel von den Dialogen und es ging teilweise recht derbe auf der Bühne zu. Die eigentlichen Höhepunkte waren zum einen die live eingespielte Orchestermusik, sowie die resolute Dame, der wir eine Karte vorm Theater verkauften. Eine stolze Russin, Mitte 50ig mit einem seltsamen Fummel an, wo vorne dran der Spruch „Live free“ draufstand. Eigentlich hätte da noch „Rede viel“ hingepasst. Horst erzählte mir später, die Dame hätte ihm ihre komplette Lebensgeschichte mit Anhängen ans Ohr gedrückt, irgendwo zwischen Fürstenwalde, Moskau und der Ukraine. Wir mussten beide schallend lachen, als der einige Zoten in der Metro zum Besten gab.
Die Metro, immer wieder die Metro; rollendes Science Fiction Kino aus einer anderen Zeit, wenn die Züge in die Stationen rein- und rausfahren. Überall Geschichte und Geschichten, Rotarmisten in Bronze gegossen, glückliche Bauern auf dem Feld als Wandfreske aufgestellt, Helden auf hohen Rössern, im Mosaik von der Decke triumphierend.
Das Reden in der Metro, fahrend, fällt schwer. Es herrscht Krach, der fast absurd erscheint. Niemand regt sich auf oder unternimmt etwas dagegen. Entsprechend trübselig sehen teilweise auch die Reisenden aus. Wenn man die Strassenbaumaschine ständig am Ohr hat, kann man auch nicht guter Laune sein, oder? Kopfschütteln bei mir, ein taubes Lächeln von Horst. Kann man Krach überhören oder hört man Krach etwa zu, gibt es Unterschiede im Krach?
8.12.2008 – Moskau-Oslo
Wieder auf Tour, es gab Neues im Osten.